Telepolis berichtet:
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wird das Polizeigesetz in
Baden-Württemberg zur Zeit kontinuierlich verschärft. Nach einer sehr
einschneidenden Verschärfung vor gerade einmal 14 Monaten plant der
baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) nun einen
weiteren Abbau von Bürgerrechten.
[...]
Nicht erst mit der geplanten Verschärfung, sondern bereits im momentan
geltenden Polizeigesetz liegen die Einsatzschwellen für diverse
Maßnahmen, durch die grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt
werden, sehr niedrig. Diese Maßnahmen können praktisch jede*n treffen,
da die Polizei zunehmend präventiv, also ohne konkreten Verdacht, tätig
wird.
[...]
Im Zuge der letzten Gesetzesänderung wurde beispielsweise die sogenannte
Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), häufig auch als
Staatstrojaner bezeichnet, eingeführt. Durch das Infizieren von Geräten
mit einer staatlichen Schadsoftware kann so die laufende Kommunikation
der betreffenden Person - auch in verschlüsselten Chats - überwacht
werden. Dies ist bereits präventiv, also allein aufgrund des Verdachts,
eine Person könnte in der Zukunft eventuell eine schwere Straftat3
begehen, möglich. Der Staatstrojaner wird durch die Ausnutzung einer
Software-Schwachstelle auf die betreffenden Geräte gespielt.
[...]
Auch im Zusammenhang mit Demonstrationen sollen die rechtlichen Spielräume für umfassende Personenkontrollen erweitert werden.
De facto kontrolliert die Polizei bereits jetzt schon häufiger im
Vorfeld von Demonstrationen. Dies ist nach gängiger Rechtsprechung
jedoch eigentlich nicht erlaubt, da Vorkontrollen einschüchternd auf die
Demonstrierenden wirken und diese vom Demonstrieren abhalten könnten -
ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Mit dem neuen
Gesetz soll die bereits gängige illegale Praxis der Polizei nun
legalisiert werden. Protest wird dadurch weiter kriminalisiert.
Presseberichten
zufolge steht auch die DNA-Untersuchung zu präventiven Zwecken im
Gesetzesentwurf. Zur Verhütung von Straftaten oder zum Schutz
hochrangiger Rechtsgüter soll es künftig präventiv, also noch vor der
Begehung einer Straftat, möglich sein, "das DNA-Identifizierungsmuster
('genetischer Fingerabdruck'), das Geschlecht, die Farbe von Augen,
Haaren und Haut, das Alter sowie die biogeografische Herkunft"
Verdächtiger zu erfassen.
[...]
Die "Lösung" dieses Problems sieht Innenminister Strobl darin, einfach
das Gesetz zu ändern und anstelle der Quellen-TKÜ die sogenannte
Onlinedurchsuchung einzuführen: In diesem Fall dürften Polizei und
Verfassungsschutz alle auf dem Gerät gespeicherten Daten wie Kontakte,
Bilder, Kalendereinträge, Kommunikation aus der Vergangenheit, Inhalte
von Apps, Browserverläufe, GPS-Daten oder Passwörter auslesen. Ja,
womöglich könnten sogar Kamera und Mikrofon an- und ausgeschaltet werden
und das betreffende Gerät als eine Art Wanze, die die überwachte Person
stets mit sich trägt, verwendet werden. All dies wohlgemerkt präventiv -
also noch bevor jemals eine Straftat durch die überwachte Person
begangen wurde. Ein bloßer Verdacht würde für diesen schweren Eingriff
in die Privatsphäre ausreichen.
[...]
Innenminister Strobl will der Polizei hier jedoch noch weitergehende Befugnisse einräumen. So sollen der Stuttgarter Zeitung zufolge
die Bedingungen für die Inhaftierung gelockert werden und gleichzeitig
eine Art Unendlichkeitshaft wie im bayerischen Polizeiaufgabengesetz
eingeführt werden. Statt der bislang geltenden Höchstdauer von zwei
Wochen soll die Frist künftig drei Monate betragen und diese
dreimonatige Haft soll dann - so der Gesetzesentwurf - unendlich oft um
weitere drei Monate verlängerbar sein. Auf diese Weise könnte eine
Person ohne Urteil auf Dauer festgehalten werden - ohne jemals eine
Straftat begangen zu haben. Assoziationen zur Schutzhaft im
Nationalsozialismus sind an dieser Stelle naheliegend.
[...]
Der Abbau von Freiheitsrechten, der hier vorangetrieben wird, kann
potenziell alle treffen. Entgegen aller Beteuerungen der
Landesregierung, das Gesetz richte sich gegen Terrorismus, werden die
Verschärfungen zunächst vor allem Migrant*innen, Linke, Antiautoritäre,
und Fußballfans treffen. Diese gesellschaftlichen Gruppen haben bereits
die letzte Änderung des Polizeigesetzes verschlafen. Nun bietet sich
leider eine neue Chance, gegen einen zunehmend autoritären Staat und
eine militarisierte Polizei aufzubegehren, die neuen Verschärfungen zu
verhindern und die Rücknahme der bereits in Kraft getretenen
Verschärfungen zu fordern.